Sonntag, 24.Juli, 12.30 mittags. Die Sonne scheint bei 15°C. Vor uns liegt Slattum-ein kleines Örtchen am Rande von Oslo. Hier also soll es losgehen, das Abenteuer Nordkap. Auf einem Parkplatz beginnen wir mit den Startvorbereitungen. Wir diskutieren noch einmal den Ablaufplan, legen uns schließlich auf zwei Stunden Laufzeit pro Läufer fest. Methusalem Holger hat die Ehre, die ersten zwei Stunden zu laufen – man merkt ihm die Nervosität an. Während Kameramann Axel sein Equipment testet und erste Eindrücke einfängt, schauen wir noch mal auf die Karte. Wir entscheiden uns für einen Radweg, der direkt an der E4 entlang führt, denn der Verkehr auf der Straße ist doch ziemlich heftig. Die Fotosession zieht sich etwas in die Länge, weil es lange braucht, bis Axel mit der Stellung zufrieden ist.
Kurz nach halb vier fällt schließlich der Startschuss. Holger hat anfangs noch leichte Schwierigkeiten, die pfeilschnellen Skating-Roller zu bändigen, doch dann geht er richtig ab…bis ihn ein Viehgatter (im Deutschen auch Lattenrost genannt) kurz vor Harestua jäh von den Füßen reißt. Sein Kinn bohrt sich heftig in den norwegischen Asphalt und er beschert Axel die erste Spannungsszene für sein Drehbuch. Zum Glück gibt es keine Materialschäden, nur an Holgers Kinn klafft eine 2cm große Wunde. Sie wird mit Klebestripes verarztet. Carmen übernimmt nun und bekommt gleich ein kurzes, aber hammerhartes Streckenstück mit Anstiegen und Schotterpiste vorgesetzt – ein kleiner Vorgeschmack auf das, was uns noch erwartet…Mit leichter Verspätung kommen die Läufer am ersten Treffpunkt an, wo Erik, Jens und Olli mit dem Womo schon nervös warten. Nach kurzer Besprechung laufen Carmen, Sven, Jens und Erik nach Plan weiter, begleitet von Axel mit dem Bus. Olli fährt derweil mit Holger nach Gjovik ins Krankenhaus, um dessen Kinn „fachmännisch reparieren“ zu lassen.
Bei Odnes treffen beide Gruppen wieder zusammen. Auf der Straße ist kaum Verkehr, es lässt sich super laufen. Alle haben Spaß und geben ordentlich Gas. Selbst Jens, der eigentlich nur klassisch läuft, kommt sehr gut klar und läuft
wie ein kleiner „Skatergott“. Lillehammer ist nicht mehr weit…
Trotz des Polarsommers wird es in diesen Breiten noch dunkel, deshalb beginnt Erik seinen Turn mit Stirnlampe. Im Schutz der Dunkelheit läuft er in Lillehammer ein, einem der Langlaufparadiese Norwegens. Mit kraftvollem Schritt skatet er durch das Stadtzentrum, vorbei am Schanzenareal und der Hakons Hall. Der Langlauf-Virus scheint ihm Bärenkräfte zu geben, denn er sprintet den Berg Richtung Nordsaeter hoch, dass selbst der legendäre Björn Dählie blass ausgesehen hätte…
Während Carmen, Sven und Jens mit dem Womo zum nächsten Treffpunkt Stai unterwegs sind, um sich dort eine Mütze Schlaf zu gönnen, beendet Erik seinen Lauf und wechselt auf Olli. Inzwischen ist es kurz nach 1 Uhr und es ist empfindlich kalt geworden. Nur gut, dass es nicht nass von oben kommt; es wäre Schnee gewesen.
Die Wechsel laufen inzwischen gut, es kommt keine Hektik auf. Holger bereitet Ollis Material vor, während der in die Laufklamotten schlüpft. Erik plündert derweil die Nahrungsmittelkiste. Axels Kamera surrt seit Stunden unentwegt, es scheint, als habe er Angst, eine gute Szene zu verpassen. Die nächsten Stunden sollten spannend werden, denn im Hochland um Lillehammer gibt es viele Wege und an den zahlreichen Kreuzungen kann man schnell die Orientierung verlieren.So staunt Olli nicht schlecht, dass plötzlich die Womo-Besatzung vor ihm auftaucht. Sie haben einen anderen Weg genommen und dadurch Zeit verloren, die ihnen Nerven und Schlaf kostet.
Auch lauftechnisch wird es immer schlechter, denn der Asphalt geht über in ein LehmSchotter-Gemisch. Zuerst ist alles noch festgefahren, aber zunehmend wird es steiniger und Olli wechselt auf die luftbereiften Power-Slide-Roller. Leider halten diese Ollis Urkräften nicht Stand und er muss mehrmals in die Boxengasse. Schließlich steigt er entnervt ins Auto, er hat die vorgegebenen zwei Stunden schon weit überschritten. Holger tut sich ebenfalls schwer mit dem immer weicher werdenden Untergrund. Es geht ewig bergauf und dazu gesellt sich ein zunehmend fieser Wind. Der Kräfteverschleiß ist dementsprechend hoch. Langsam graut der Morgen - und Holger graut es auch, denn der Anstieg nimmt kein Ende…
Endlich ist der nächste Treffpunkt bei Stai erreicht. Im Tank des Busses haben sich die letzten paar Tropfen Benzin ängstlich in einer dunklen Ecke versammelt, um so dem Fegefeuer des Zylinders zu entgehen. Zum Glück ist 200 m weiter eine Tankstelle. Die Womo-Truppe hat noch ein paar Minuten Schlaf gefunden und empfängt die leicht übernächtige Lauftruppe. Zuerst geht es daran, die Verschleißspuren des nächtlichen Gewaltrittes zu beseitigen. Da macht sich Svens mobile Werkstatt das erste Mal bezahlt. Rollerwalzen werden getauscht und Stockspitzen mit der elektrischen Schleifscheibe nachgeschliffen. Dann tauschen wir die Fahrzeuge. Sven und Jens begleiten Carmen, die die nächste Strecke läuft, mit dem Bus. Erik, Olli und Holger fahren mit dem Womo zum nächsten Treffpunkt voraus.
Die Sonne erwärmt die kalte Morgenluft schnell auf angenehme 15° C. Während im Womo lecker Spaghetti verdrückt werden, kommen die Läufer gut voran. Geplant waren eigentlich 15 km pro Stunde, doch der tatsächliche Schnitt liegt um die 20 km/h. Carmen überrascht die Männer immer wieder, sie hält super mit. So geht es im Eiltempo durch die herrliche Landschaft Mittelnorwegens, vorbei an kleinen Dörfern mit den typischen Holzhäusern und malerischen Seen. Intensiv genießen wir diese Eindrücke, sie sind quasi die Belohnung für unsere Mühen. Am Abend dieses Tages sind wir noch 150 km von Trondheim entfernt. Die Straßen auf der Karte sind relativ breit eingezeichnet, so dass wir optimistisch sind, in dieser Nacht von Schotterpisten verschont zu bleiben. Wenn das Tempo nicht rapide abfällt, sind wir morgen früh dort.
Dienstag Morgen, kurz nach 6 Uhr. Eine Bushaltestelle kurz vor Trondheim
Die Womo-Leute werden vom Laufteam aus einem bleiernen Schlaf gerissen. Jens hat noch eine halbe Stunde zu laufen. Holger und Erik machen noch kurz Morgentoilette und nehmen dann die Verfolgung auf. Die Hirnzellen haben den Wecker wohl überhört, und so irren die beiden etwas planlos durch Trondheim. Endlich finden sie die Einflugschneise Richtung Rorvik. Sie erreichen das Laufteam, doch die sind „absolutely not amused“ über die Verspätung. [weiter...]
Freitag 29.Juli 2005, früher Abend. Regen. Der Wind peitscht. Die Frisur sitzt nicht mehr.
Wir haben noch ungefähr 90 km bis zum Nordkap. Es scheint, als will uns das Wetter daran hindern, unser Ziel rechtzeitig zu erreichen. Auf Regen und Kälte sind wir ja eingestellt, aber dieser Wind ist echt das Letzte. Wir schätzen Windstärke 6, und das ist bestimmt noch untertrieben. Jens holt die letzten Körner aus sich heraus, um einigermaßen vorwärts zu kommen. Dann ist Erik dran. Er wird von der Gischt eines entgegen kommenden LKW komplett abgeduscht. Aber er kämpft weiter verbissen um jeden Meter.Olli fordert auf seinem Teilstück einen Radfahrer zum Duell heraus. Der wehrt sich nach Kräften, doch gegen Ollis Bärenkräfte ist er machtlos. Carmen übernimmt und stemmt ihren zierlichen Körper gegen die Wand aus Regen und Wind. Wo nimmt die Frau nur die Kraft her? Die Blicke der anderen suchen den Horizont ab in der Hoffnung, das Ziel zu sehen.
Doch überall nur graue Wolken. Wo ist nur dieses blöde Nordkap? Vielleicht existiert es ja gar nicht und wir laufen uns hier umsonst nen Wolf ? Sven drückt sich derweil einen langen Anstieg im klassischen Stil hoch. Und dann endlich…taucht es wie eine Fata Morgana vor uns auf - das „Ende der Welt“ ist nah! Noch einmal schlüpfen Carmen und Olli in die Wasser triefenden Klamotten. Sie sollen das Werk vollenden. Der letzte Wechsel. Carmen kann die letzten Meter nur noch rennen, der Kiesweg macht das Skaten unmöglich. Um 20.56 Uhr schlägt sie am Steinsockel des Nordkap-Denkmals an. Wir haben es geschafft!!!
Etwa zwei Stunden später. Draußen tobt der Wind und lässt das Womo bedenklich schwanken. Erik und Sven sitzen am Tisch und stärken ihre erschöpften Körper mit einem Bier…